Was, wenn beim Transport etwas schiefgeht?
Wer haftet bei Transportverlust und Schäden? Was, wenn das Paket nicht ankommt? Diese und weitere für Händler wichtige Fragen beantworten wir im Beitrag.
1. Warum eine genderneutrale Anrede wählen?
2. Ist die Beschränkung auf „Herr“ und „Frau“ als Anrede diskriminierend?
3. Entschädigungsansprüche der geschädigten Personen?
4. Mögliche Umsetzung in Ihrem Online-Shop
5. Pflicht zur Datenminimierung
6. Unser Tipp
Die genderneutrale Sprache wird im alltäglichen Leben immer präsenter. Die Grundrechte und das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt jede Person vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - jeden Geschlechts!
2018 wurde die Möglichkeit geschaffen, beim Eintrag ins Personenstandsregister neben den Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch die Option „divers“ zu wählen. Auch der Online-Handel wird im Rahmen der gendergerechten Anrede vor neue Herausforderungen gestellt. Schließlich wird die Auswahl einer Anrede im Registrierungs- und Bestellprozess eines Online-Shops häufig als Pflichtfeld mit den Auswahlmöglichkeiten „Herr“ und „Frau“ angeboten.
Doch handelt es sich dabei um eine Diskriminierung aller nicht-binären Personen und was sind mögliche Konsequenzen?
Die genderneutrale Anrede beschreibt die neutrale Ansprache von Personen. Im Vordergrund sollen dadurch Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit geschützt werden, sich gezwungenermaßen einem Geschlecht zuordnen zu müssen. Rechtlich begründet wird die gendergerechte Ansprache dabei mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Grundsätzlich schreibt die deutsche Gesetzgebung bislang keine gendergerechte Anrede in Registrierungs- und Bestellprozessen vor. Doch können die Online-Shops tatsächlich frei entscheiden, welche Anreden sie in ihren Formularen anbieten?
Sowohl OLG Karlsruhe als auch das OLG Frankfurt a.M. befassten sich mit genau dieser Frage.
OLG Karlsruhe
Ende letzten Jahres setzte sich das OLG Karlsruhe (Urt. v. 14.12.2021 – 24 U 19/21) mit der Frage auseinander, ob die Beschränkung im Registrierungs- und Bestellprozess auf die Anrede „Herr“ oder „Frau“ eine Diskriminierung darstellen würde.
In dem Fall bestellte die klagende Person bei einem Online-Bekleidungsunternehmen verschiedene Kleidungsstücke. Im Laufe des Bestellprozesses wurde sie dazu verpflichtet, ihre persönliche Geschlechtsidentität anzugeben. Dabei wurden ihr lediglich die Auswahlmöglichkeiten „Herr“ und „Frau“ zur Verfügung gestellt. Durch diese eingeschränkten Auswahlmöglichkeiten sah sich die klagende Person in ihren Rechten verletzt.
Das OLG Karlsruhe stimmte der Klage zu. Indem die klagende Person dazu verpflichtet war, sich zwischen den Anredemöglichkeiten „Herr“ und Frau“ zu entscheiden und es ihr nicht freigestellt war, die Anredeoption nicht auszufüllen, wurde sie im Rahmen ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzt. Außerdem lag damit ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor.
Dies begründe sich daraus, dass die klagende Person, anders als eine Person mit männlichem oder weiblichem Geschlecht, den Kaufvorgang nicht abschließen konnte, ohne im dafür vorgesehenen Feld eine Angabe zu machen, die der eigenen geschlechtlichen Identität widerspricht.
Ein Anspruch auf Unterlassung bestand mangels Wiederholungsgefahr jedoch nicht, da das Online-Bekleidungsunternehmen in der Zwischenzeit im Anredefeld die zusätzliche Auswahlmöglichkeit „Divers/keine Anrede“ hinzugefügt hatte.
OLG Frankfurt a.M.
Ähnlich entschied das OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 21.6.2022 – 9 U 92/20) nun in einem Fall gegen die Vertriebstochter eines deutschlandweit tätigen Eisenbahnkonzerns. Bei der Buchung einer Fahrkarte konnte auch hier die klagende Person keine geschlechtsneutrale Anrede wählen. Das OLG Frankfurt bestätigte die Unterlassungsansprüche der klagenden Person und räumte der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende ein.
Während die Vorinstanz noch keinen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz annahm, schloss sich das OLG Frankfurt a.M. dem OLG Karlsruhe an.
Haben die geschädigten Personen nun auch einen Anspruch auf Entschädigung?
Auf diese Frage fanden die Gerichte unterschiedliche Antworten.
Das OLG Karlsruhe verneinte einen Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen der Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dafür erforderlich wäre vielmehr eine „schwerwiegende Verletzung des Benachteiligungsverbots, die eine gewisse Intensität der Herab- und Zurücksetzung“ erreicht. Diese Voraussetzungen lagen im vorliegenden Einzelfall laut dem OLG Karlsruhe jedoch nicht vor.
Demgegenüber sprach das OLG Frankfurt der klagenden Person einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1.000€ zu. Die Person erlebte „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führte. Die Entschädigung sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe.
Wie festzustellen ist, kommen die Gerichte auf die Frage zur Entschädigung in Geld zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch der BGH in Zukunft noch mit dem Thema auseinandersetzen wird.
Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, den genannten Anforderungen gerecht zu werden:
Anrede als Freitext
Sie können keine „fertigen“ Anredemöglichkeiten angeben, sondern lediglich ein Freitextfeld zur Verfügung stellen. Auf diese Weise könnte jede Person, falls überhaupt gewünscht, ihre individuelle Anrede angeben.
Dies kann jedoch zu Rechtschreibfehlern oder unausgeglichenen Schreibweisen führen, die (falls gewünscht) eine manuelle Korrektur benötigten.
„Divers“ oder „keine Angabe“ als neue Option
Eine weitere Möglichkeit ist das Hinzufügen der Option „divers“ oder „keine Angabe“. Dies lässt sich für die meisten Online-Shops vermutlich am einfachsten implementieren.
Hier gilt es jedoch zu beachten, dass die beiden „neuen“ Auswahlmöglichkeiten nur bedingt dazu geeignet sind, eine Person anzusprechen.
Geschlechtsbezogene Anreden weglassen
Als dritte Variante ist es noch möglich, die geschlechtsbezogenen Anreden komplett zu entfernen oder die Angabe einer Anrede als freiwilligen Zusatz zu kennzeichnen.
Eine Anrede ist zumindest für den Abschluss eines Vertrags nicht erforderlich.
Bei der praktischen Umsetzung im Online-Shop ist weiterhin die Pflicht zur Datenminimierung im Sinne der DSGVO zu beachten!
Der Datenschutzgrundsatz der Datenminimierung besagt, dass Daten nur in dem Umfang und für die Dauer erhoben werden dürfen, wie sie auch zur Erreichung des jeweiligen Zweckes gebraucht werden.
Die Anrede der Personen ist in der Regel für die konkrete Vertragsausführung irrelevant. Demnach wird bei der Erhebung dieser Daten nicht dem Grundsatz der Datenminimierung gefolgt.
Neben den oben genannten Gründen sollte daher auch im Sinne der DSGVO die Anrede als optionales Feld ausgestaltet sein. Alternativ ist auch eine zusätzliche Auswahlmöglichkeit wie „keine Angabe“ zulässig.
Wie schon im Personenstandsregister und am Stellenmarkt üblich, empfiehlt es sich demnach auch jedem Online-Shop, der aktuellen Rechtsprechung zu folgen und ihre Registrierungs- und Bestellprozesse an nicht-binäre Geschlechteridentitäten anzupassen.
Anne Lehmann, LL.M., ist Legal Consultant bei Trusted Shops im Bereich Legal Services. Bachelor an der Hanse Law School in Vergleichendem und Europäischem Recht sowie Master in Unternehmensrecht in Internationalem Kontext an der HWR Berlin. Im Rahmen ihrer Tätigkeit war sie ab 2013 zunächst für die Prüfung von Online-Shops der Märkte DACH, NL sowie UK zuständig und verantwortete das Key Account Operational Management. Seit 2017 betreut sie die Trusted Shops Legal Produkte und beschäftigt sich intensiv mit den für Online-Händler relevanten Rechtsgebieten.
29.09.22Wer haftet bei Transportverlust und Schäden? Was, wenn das Paket nicht ankommt? Diese und weitere für Händler wichtige Fragen beantworten wir im Beitrag.
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