Ein Produkt kaputt - muss der Händler es abholen oder der Verbraucher zurücksenden?

Ein immer wiederkehrendes, unliebsames Phänomen im E-Commerce: Ihr Kunde meldet sich nur wenige Wochen nach dem Kauf in Ihrem Online-Shop und teilt mit, die Ware sei mangelhaft. Er verlangt Reparatur und wünscht zudem, dass Sie die Ware direkt an seinem Wohnort abholen oder die Reparatur dort vornehmen. Ein Rückversand sei nach Meinung des Kunden ausgeschlossen.

Müssen Sie diesem Verlangen in jedem Fall nachkommen bzw. worauf kommt es wirklich an? Mit der Frage des „richtigen“ Orts der Nacherfüllung beschäftigt sich der folgende Rechtstipp der Woche.

 

Ausgangslage – Was sagt das Gesetz dazu?

Die kurze Antwort lautet: leider nicht viel. Die Modalitäten der Nacherfüllung im Gewährleistungsfall sind primär in § 439 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Danach kann die Nacherfüllung entweder in Form der Mangelbeseitigung oder Lieferung einer mangelfreien Ware erfolgen.

Nach Absatz 2 der Vorschrift muss der Verkäufer dabei die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, also etwa die entstehenden Transport- oder Materialkosten tragen. Auf die Frage, an welchem Ort die Nacherfüllung konkret stattfinden muss, wird indes nicht eingegangen. Es bleibt daher die Möglichkeit, auf die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zum sogenannten „Leistungsort“ abzustellen. So bestimmt § 269 Abs. 1 BGB:

„Ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen, so hat die Leistung an dem Ort zu erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte.“

Diese Formulierung wirft allerdings hinsichtlich der Nacherfüllung bei einem Verbrauchsgüterkauf im Internet mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Nur für den Fall, dass eine explizite, individuelle (also nicht etwa per AGB) Vereinbarung hierzu zwischen Käufer und Verkäufer existiert, kann der Nacherfüllungsort – entsprechend dieser Abrede – grundsätzlich sicher bestimmt werden. Das dürfte in der Praxis jedoch selten vorkommen. Darüber hinaus ist nicht abschließend geklärt, ob eine solche Vereinbarung bei einem Verbrauchsgüterkauf überhaupt zulässig sein kann.

In allen anderen Fällen herrscht - gerade unter Juristen - keine Einigkeit darüber, ob nun stets davon auszugehen ist, dass die Nacherfüllung am sogenannten Belegenheitsort der mangelhaften Sache (regelmäßig am Wohnsitz des Käufers) oder am ursprünglichen Erfüllungsort – im Falle des Online-Shops in aller Regel dem Verkäufersitz – liegen soll. 

 

Die bisherige „Lösung“ des Bundesgerichtshofs

Als oberstes deutsches Zivilgericht versuchte der Bundesgerichtshof (BGH) bisher, einen differenzierten Lösungsansatz durchzusetzen. Bei der Frage des Nacherfüllungsorts komme es immer auf die Umstände des konkreten Einzelfalls an, sofern keine explizite und individuelle Vereinbarung zwischen den Parteien vorhanden ist.

So sei bei Geschäften des täglichen Lebens, beispielsweise beim Kauf im Ladengeschäft zu erwarten, dass die Kunden ihre Reklamationen regelmäßig unter Vorlage der Ware am Verkäufersitz vorbringen.

Gleiches soll für den Fall gelten, dass technisch aufwändige Diagnose- oder Reparaturarbeiten des Verkäufers erforderlich sind, wie z. B. beim Fahrzeugkauf. Diese könnten wegen der materiellen und personellen Möglichkeiten sinnvoll nur am Betriebsort des Händlers vorgenommen werden (BGH, Urteil vom 13.04.2011 – VIII ZR 220/10).

Anders seien Fälle zu beurteilen, in denen eine Nachbesserung an Gegenständen vorgenommen werden muss, die am Wohnsitz des Käufers als Bestimmungsort auf- oder eingebaut wurden oder wenn der Rücktransport aus anderen Gründen nicht oder nur unter erschwerten Umständen möglich ist. Hier soll – so der BGH -  die Nachbesserung am Wohnsitz des Käufers erfolgen.

Diese Meinung ist in der juristischen Literatur vielfach auf Kritik gestoßen. Sie führe insbesondere zu einer unzumutbaren Rechtsunsicherheit beim Käufer und könne ihn bei der Ausübung seiner gesetzlichen Gewährleistungsrechte beeinträchtigen.

 

Und was sagt der Europäische Gerichtshof dazu?

Zu der Frage, wo genau der Nacherfüllungsort liegt, bzw. wenn diese Frage nicht eindeutig zu beantworten ist, nach welchen Kriterien der Ort bestimmt werden kann, musste sich zwischenzeitlich auch das höchste europäische Gericht, der Europäische Gerichtshof (EuGH) verbindlich äußern (EuGH, Urteil vom 23.05.2019 – C 52/18).

In dem von dem Amtsgericht Norderstedt initiierten Vorabentscheidungsverfahren ging es um ein fünf mal sechs Meter großes Zelt, das sich als mangelhaft erwies. Der Käufer weigerte sich, die Ware zur Reparatur zurückzuschicken und verlangte vielmehr eine Nachbesserung an seinem Wohnsitz.

Der EuGH stellte zunächst fest, dass auch in der maßgeblichen europäischen Richtlinie 1999/44 (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) der Nacherfüllungsort nicht näher bestimmt ist. Das EU-Recht stelle jedoch bestimmte Bedingungen für die Nacherfüllung, die der Verkäufer zu erfüllen hat.

Die Nacherfüllung muss danach unentgeltlich, innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen. Daraus folgert der Gerichtshof, dass der Nacherfüllungsort geeignet sein muss, um die oben genannten drei Bedingungen zu erfüllen.

Bei der Frage der „erheblichen Unannehmlichkeiten“ wird indes klargestellt, dass ein gewisser Zeitaufwand, der z. B. im Zusammenhang mit der Verpackung und der Rückgabe der Ware normalerweise entsteht, nicht „erheblich“ in diesem Sinne sein kann. Maßgeblich sei, dass der Verbraucher aufgrund einer höheren Belastung nicht davon abgehalten werden darf, seine gesetzlichen Gewährleistungsrechte auszuüben.

Der EuGH unterstreicht dabei, dass ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Verbrauchers und denen des Verkäufers erzielt werden muss und die wirtschaftlichen Überlegungen des Verkäufers ebenfalls mit berücksichtigt werden müssen. Bei der Bestimmung des Nacherfüllungsorts seien daher folgende Kriterien besonders wichtig:

  • Art der Ware: ist die Ware besonders schwer, sperrig oder zerbrechlich? Sind komplexe Anforderungen bei dem Versand zu beachten?
  • Konkreter Gebrauchszweck: Musste die Ware beim Kunden etwa auf- bzw. eingebaut werden?

In diesen Fällen kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Nacherfüllung am Wohnsitz des Käufers erfolgen muss. Anders sieht es bei kompakten Waren aus, die keine spezielle Handhabung oder besondere Transportweise erfordern, so dass die Beförderung an den Geschäftssitz des Verkäufers keine erhebliche Unannehmlichkeit für den Verbraucher bedeuten würde.

Letztlich gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass es eine klare Antwort auf die Frage des Nacherfüllungsorts nicht geben kann, vielmehr sind immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Ob nun ein Partyzelt - wie im Ausgangsfall - tatsächlich am Wohnsitz des Käufers repariert werden muss, hat letztlich das zuständige nationale Gericht anhand der von den Luxemburger Richtern genannten Kriterien zu entscheiden.

 

Wie agiere ich als Händler nun konkret in der Praxis?

Die vom EuGH – wie auch dem BGH – getroffenen Feststellungen, die die aktuelle Rechtslage zu diesem Thema abbilden, können zugegebenermaßen nicht zufriedenstellend sein, und zwar weder für Sie noch für Ihre Kunden. Denn es fehlt weiterhin an einer grundsätzlichen, klar definierten Regelung des Nacherfüllungsorts. Eine eigenständige Einschätzung entsprechend den Umständen des Einzelfalls birgt potentielle rechtliche Nachteile für beide Seiten, je nachdem wie ein Gericht in einem Streitfall letztlich entscheidet.

 

Dennoch lässt sich im Hinblick auf die vorgenannten Entscheidungen Folgendes festhalten:

Bei einer Vielzahl der in Online-Shops angebotenen alltäglichen, kompakten Produkte ohne besondere Handhabung (etwa kleinere Haushaltsgeräte, Handuhren oder Spielkonsolen) wird der Nacherfüllungsort bei Ihnen liegen. Dann können Sie auf einen Rückversand der Ware zum Zwecke der Prüfung des behaupteten Mangels, ggf. der Reparatur oder des Austausches bestehen.

In jedem Fall müssen Sie die entstehenden Transport- oder Materialkosten aufgrund der gesetzlichen Regelung übernehmen. Grundsätzlich kann der Verbraucher zwar auch eine Vorschusszahlung verlangen (§ 475 Abs. 6 BGB). Nach der EuGH Rechtsprechung können Sie jedoch eine solche Vorschusszahlung verweigern, wenn die Vorleistung für den Verbraucher nicht zu einer Belastung führt, die die Ausübung seiner Rechte beeinträchtigen kann. Maßgeblich hierfür wären vor allem die Höhe der Transportkosten und der Warenwert.

Bei sperrigen oder zerbrechlichen Waren (z. B. größere Möbel, einzelne Glaswaren) gilt hingegen grundsätzlich der Wohnsitz des Käufers als Nacherfüllungsort. In derartigen Fällen müssen Sie den Transport selbst organisieren bzw. die Reparatur vor Ort ausführen.

Gleiches gilt für Waren, die beim Käufer durch Sie oder einen von Ihnen beauftragten Dienstleister bereits auf- oder eingebaut wurden. Hier müssen Sie das ggf. erforderliche Entfernen der mangelhaften und den Einbau der nachgebesserten/neu gelieferten Sache übernehmen.

Besondere Regeln gelten wiederum für den Fall, dass der Käufer selbst oder eine von ihm beauftragte Drittfirma die Waren „gemäß ihrer Art und ihrem Verwendungszweck“ angebracht bzw. eingebaut haben. In diesem Fall kann der Käufer den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der mangelfreien Ware selbst vornehmen (lassen) und die dafür entstandenen Kosten grundsätzlich beim Verkäufer geltend machen.

 

Unser Tipp

Wenn sich Ihr Kunde auf einen Mangel beruft und sich weigert, Ihnen das Produkt zur Einsicht und ggf. Reparatur / Neulieferung zurückzuschicken, lohnt es sich in jedem Fall zu prüfen, ob die Organisation des Rücktransports für Sie nicht ohnehin wirtschaftlich und logistisch sinnvoller erscheint.

Denn die von Ihnen gewählte Transportoption wird – je nach Produktart – im Zweifel günstiger ausfallen und Ihnen ggf. Mehrkosten ersparen, die Sie im Falle eines Rückversands durch den Kunden tragen müssten.

Zudem können Sie in diesem Fall auf einen Ihnen bereits bekannten und zuverlässigen Transportdienstleister zurückgreifen. Das gilt insbesondere für (sperrige) Speditionsware, bei der Sie aufgrund der aktuellen Rechtsprechung in der Regel zur Organisation des Rücktransports bzw. Nacherfüllung am Wohnsitz des Käufers schon rechtlich verpflichtet sind. 

 

Über den Autor


Lazar Slavov

Lazar Slavov, LL.M.
Studium der Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Mehrjährige Erfahrung als Rechtsanwalt im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, insb. des Marken- und Wettbewerbsrechts. Seit 2018 Legal Consultant bei Trusted Experts und zugleich Rechtsanwalt in freier Mitarbeit bei der Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE.

17.10.19
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