Gewährleistung: Reparieren oder ersetzen – wer entscheidet?
Online-Händler*innen kennen es: Eine Reklamation trudelt ein – und plötzlich stellt sich die Frage: Muss ich reparieren oder ein neues Produkt liefern?
Alle Online-Händler*innen kennen es: Eine Reklamation trudelt ein – und plötzlich stellt sich die Frage: Muss ich reparieren oder direkt ein neues Produkt liefern? Doch wer entscheidet das eigentlich? Und unter welchen Bedingungen haben Händler*innen Mitspracherecht?
Bei mangelhaften Produkten haben Käufer*innen bekanntlich verschiedene Gewährleistungsrechte. Zu den wichtigsten zählen die Nacherfüllung, der Rücktritt vom Vertrag, die Minderung des Kaufpreises und sogar Schadensersatz. Einige dieser Ansprüche sind jedoch nachrangig zum sogenannten „Recht auf zweite Andienung“.
Es handelt sich um ein Synonym für die Nacherfüllung. Händler*innen soll damit die Möglichkeit gegeben werden, einen Mangel durch Reparatur oder Ersatzlieferung zu beheben und das Produkt (nachträglich) in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen. Erst wenn diese Nacherfüllung unmöglich, erfolglos oder nicht innerhalb einer angemessenen Frist durchgeführt wird, können Käufer*innen auf die weiteren Rechte wie Rücktritt oder Minderung zurückgreifen.
Das Gesetz sieht zwei Alternativen für die Nacherfüllung vor:
Beide Optionen müssen für Käufer*innen kostenlos und innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen.
Vielen Händler*innen wird die Antwort nicht gut gefallen. Grundsätzlich haben Käufer*innen nach § 439 Abs. 1 BGB die Wahl zwischen Reparatur und Ersatzlieferung. Ihre Entscheidung ist dabei (noch) nicht bindend, solange die gewünschte Maßnahme nicht umgesetzt wurde – Käufer*innen können sich also zwischenzeitlich auch nochmals umentscheiden. Verkäufer*innen hingegen sind an die getroffene Wahl gebunden und müssen die gewählte Art der Nacherfüllung durchführen!
⚠️ Hinweis: Zu beachten ist, dass dieses Wahlrecht bei Verbraucher*innen insbesondere auch nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen eingeschränkt werden darf. Eine Zuwiderhandlung führt zur Unwirksamkeit der Klausel und ist entsprechend auch abmahnfähig.
Doch Vorsicht! Es gibt auch im B2C-Verhältnis wichtige Ausnahmen, die man als Händler*in unbedingt kennen sollte. In bestimmten Fällen haben Käufer*innen nämlich nicht uneingeschränkt die Wahl – oder sie können diese überhaupt nicht ausüben.
Wenn eine der beiden Nacherfüllungsoptionen technisch nicht möglich ist, kann die Auswahl der Käufer*innen abgelehnt werden. Angenommen, ein Produkt ist so mangelhaft, dass eine Reparatur schlichtweg nicht durchführbar ist, dann bleibt nur die Möglichkeit der Ersatzlieferung. Demgegenüber kann nur eine Reparatur durchgeführt werden, wenn zum Beispiel ein Einzelstück verkauft wurde und entsprechend kein Exemplar geliefert werden kann, das das Geschuldete ersetzt.
Fordern Kund*innen in diesen Fällen die unmögliche Alternative, können Verkäufer*innen diese berechtigterweise ablehnen und die mögliche Nacherfüllungsalternative anbieten.
Gemäß § 439 Absatz 4 BGB haben Verkäufer*innen die Möglichkeit, das Wahlrecht der Käufer*innen zu verweigern, wenn die Kosten für die gewünschte Nacherfüllung unverhältnismäßig hoch sind. Dabei sind zwei Unverhältnismäßigkeiten zu unterscheiden:
Stell dir vor, du betreibst ein Möbelgeschäft und ein Kunde reklamiert ein Designer-Sofa wegen eines kleinen Materialfehlers. Er fordert eine aufwendige Reparatur, doch für dich wäre eine Ersatzlieferung viel günstiger. Musst du der teureren Variante zustimmen? Hier kommt das Prinzip der relativen Unverhältnismäßigkeit ins Spiel.
Du als Verkäufer*in hast ein berechtigtes Interesse daran, unnötig hohe Kosten zu vermeiden. Dennoch kann der Kunde nicht einfach auf die günstigere Alternative verwiesen werden – sein Wahlrecht könnte sonst ausgehebelt werden. Eine Abwägung der Interessen ist in diesem Falle erforderlich:
⚠️ Hinweis: Gerichte betrachten solche Fälle stets individuell. Eine feste Grenze gibt es grundsätzlich nicht, aber als Faustregel gilt: Ist die von Kund*innen gewünschte Nacherfüllungsalternative 15 bis 20 % teurer als die andere, kann eine relative Unverhältnismäßigkeit vorliegen.
Zurück zum Beispiel: Wenn die Reparatur des Designer-Sofas im Endeffekt unverhältnismäßig teurer wäre als eine Ersatzlieferung, kannst du den Kunden auf die Ersatzlieferung verweisen. Doch wenn es sich um eine Spezialanfertigung handelt, bei der eine neue Lieferung Monate dauern würde, könnte der Kunde dennoch auf die Reparatur bestehen.
In der Praxis erfordert jede Entscheidung also eine sorgfältige Einzelfallprüfung – sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus rechtlicher Sicht. Eine kluge Abwägung hilft dir, unnötige Kosten zu vermeiden und gleichzeitig die Kundenbindung nicht zu gefährden.
Eine der Nacherfüllungsalternativen kann auch „absolut unverhältnismäßig“ sein. In diesem Fall wird nicht der Vergleich der Kosten der gewählten Nacherfüllung mit der alternativen Möglichkeit vorgenommen, sondern mit dem ursprünglichen Wert des Produkts.
Gerichte entscheiden hier wiederum aufgrund einer Bewertung aller Umstände im Einzelfall. Der BGH vergleicht dabei als „ersten Anhaltspunkt“ den Wert der Sache im mangelfreien Zustand und die Bedeutung des Mangels. Er hat dabei selbst eine Faustformel aufgestellt, wenn der Mangel nicht vom Verkäufer zu vertreten ist.
Eine absolute Unverhältnismäßigkeit liege dann vor, soweit die gewählte Art der Nacherfüllung mehr als 150 % des Wertes der Ware im mangelfreien Zustand oder 200 % des Wertes der Ware im mangelhaften Zustand kostet. Verkäufer*innen können in diesem Falle auf die andere Nacherfüllungsvariante verweisen.
⚠️ Hinweis: Bis 2022 war für das B2C-Verhältnis geregelt, dass Verkäufer*innen sich nicht auf die absolute Unverhältnismäßigkeit berufen konnten, wenn sie die andere Art der Nacherfüllung aufgrund Unmöglichkeit verweigert haben. Die Gesetzesänderung vom 1. Januar 2022 gestattet nun den Verkäufer*innen auch die verbleibende Nacherfüllungsvariante wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit zu verweigern.
Bei digitalen Produkten (B2C) sieht die Sache grundsätzlich anders aus! Hier fehlt im Gesetzestext die ausdrückliche Nennung des Wahlrechts zwischen Nachlieferung und Nachbesserung für Verbraucher*innen. § 327l Abs. 1 überlässt damit die Entscheidung den Unternehmer*innen. Diese dürfen bei digitalen Produkten selbst entscheiden, wie sie den Mangel beheben, z. B.:
Wirtschaftlich klug handeln, rechtlich abgesichert bleiben: Für Händler*innen ist die Gewährleistung oft ein Balanceakt zwischen Kundenservice und betriebswirtschaftlicher Vernunft. Während Käufer*innen grundsätzlich das Wahlrecht zwischen Reparatur und Ersatzlieferung haben, gibt es klare Grenzen: Unmöglichkeit, Unverhältnismäßigkeit oder spezielle Regelungen für digitale Produkte können den Handlungsspielraum der Verkäufer*innen erweitern.
Entscheidend ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung – denn eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung muss auch rechtlich tragfähig sein. Wer seine Rechte und Pflichten kennt, kann nicht nur unnötige Kosten vermeiden, sondern auch Reklamationsprozesse effizient steuern und die Kundenbindung stärken.
25.03.25Online-Händler*innen kennen es: Eine Reklamation trudelt ein – und plötzlich stellt sich die Frage: Muss ich reparieren oder ein neues Produkt liefern?
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