Gewährleistung: Reparieren oder ersetzen – wer entscheidet?

Ein Laptop wird repariert.

Alle Online-Händler*innen kennen es: Eine Reklamation trudelt ein – und plötzlich stellt sich die Frage: Muss ich reparieren oder direkt ein neues Produkt liefern? Doch wer entscheidet das eigentlich? Und unter welchen Bedingungen haben Händler*innen Mitspracherecht?

Bei mangelhaften Produkten haben Käufer*innen bekanntlich verschiedene Gewährleistungsrechte. Zu den wichtigsten zählen die Nacherfüllung, der Rücktritt vom Vertrag, die Minderung des Kaufpreises und sogar Schadensersatz. Einige dieser Ansprüche sind jedoch nachrangig zum sogenannten „Recht auf zweite Andienung“.

Was bedeutet das Recht auf zweite Andienung?

Es handelt sich um ein Synonym für die Nacherfüllung. Händler*innen soll damit die Möglichkeit gegeben werden, einen Mangel durch Reparatur oder Ersatzlieferung zu beheben und das Produkt (nachträglich) in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen. Erst wenn diese Nacherfüllung unmöglich, erfolglos oder nicht innerhalb einer angemessenen Frist durchgeführt wird, können Käufer*innen auf die weiteren Rechte wie Rücktritt oder Minderung zurückgreifen.

Das Gesetz sieht zwei Alternativen für die Nacherfüllung vor:

  1. Reparatur (Nachbesserung): Das mangelhafte Produkt wird auf Kosten der Verkäufer*innen repariert, sodass es dann den vertraglichen Anforderungen entspricht.
  2. Ersatzlieferung: Käufer*innen erhalten ein neues, mangelfreies Produkt, das das defekte Exemplar ersetzt.

Beide Optionen müssen für Käufer*innen kostenlos und innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen.

Wer entscheidet?

Vielen Händler*innen wird die Antwort nicht gut gefallen. Grundsätzlich haben Käufer*innen nach § 439 Abs. 1 BGB die Wahl zwischen Reparatur und Ersatzlieferung. Ihre Entscheidung ist dabei (noch) nicht bindend, solange die gewünschte Maßnahme nicht umgesetzt wurde – Käufer*innen können sich also zwischenzeitlich auch nochmals umentscheiden. Verkäufer*innen hingegen sind an die getroffene Wahl gebunden und müssen die gewählte Art der Nacherfüllung durchführen!

⚠️ Hinweis: Zu beachten ist, dass dieses Wahlrecht bei Verbraucher*innen insbesondere auch nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen eingeschränkt werden darf. Eine Zuwiderhandlung führt zur Unwirksamkeit der Klausel und ist entsprechend auch abmahnfähig.

Doch Vorsicht! Es gibt auch im B2C-Verhältnis wichtige Ausnahmen, die man als Händler*in unbedingt kennen sollte. In bestimmten Fällen haben Käufer*innen nämlich nicht uneingeschränkt die Wahl – oder sie können diese überhaupt nicht ausüben.

Unmöglichkeit

Wenn eine der beiden Nacherfüllungsoptionen technisch nicht möglich ist, kann die Auswahl der Käufer*innen abgelehnt werden. Angenommen, ein Produkt ist so mangelhaft, dass eine Reparatur schlichtweg nicht durchführbar ist, dann bleibt nur die Möglichkeit der Ersatzlieferung. Demgegenüber kann nur eine Reparatur durchgeführt werden, wenn zum Beispiel ein Einzelstück verkauft wurde und entsprechend kein Exemplar geliefert werden kann, das das Geschuldete ersetzt.

Fordern Kund*innen in diesen Fällen die unmögliche Alternative, können Verkäufer*innen diese berechtigterweise ablehnen und die mögliche Nacherfüllungsalternative anbieten.

Unverhältnismäßigkeit

Gemäß § 439 Absatz 4 BGB haben Verkäufer*innen die Möglichkeit, das Wahlrecht der Käufer*innen zu verweigern, wenn die Kosten für die gewünschte Nacherfüllung unverhältnismäßig hoch sind. Dabei sind zwei Unverhältnismäßigkeiten zu unterscheiden:

1. Relative Unverhältnismäßigkeit

Stell dir vor, du betreibst ein Möbelgeschäft und ein Kunde reklamiert ein Designer-Sofa wegen eines kleinen Materialfehlers. Er fordert eine aufwendige Reparatur, doch für dich wäre eine Ersatzlieferung viel günstiger. Musst du der teureren Variante zustimmen? Hier kommt das Prinzip der relativen Unverhältnismäßigkeit ins Spiel.

Du als Verkäufer*in hast ein berechtigtes Interesse daran, unnötig hohe Kosten zu vermeiden. Dennoch kann der Kunde nicht einfach auf die günstigere Alternative verwiesen werden – sein Wahlrecht könnte sonst ausgehebelt werden. Eine Abwägung der Interessen ist in diesem Falle erforderlich:

  • Wert der Sache in mangelfreiem Zustand: Ist das Produkt hochpreisig, könnte eine Reparatur eher zumutbar sein.
  • Bedeutung des Mangels: Handelt es sich um eine funktionale Beeinträchtigung oder nur um einen optischen Makel?
  • Zumutbarkeit der Alternative für den Kunden: Würde eine Ersatzlieferung erhebliche Nachteile bedeuten, z. B. lange Wartezeiten?
  • Kosten der Ersatzlieferung: Insbesondere bei bereits benutzten Waren wird der Absatz des mangelhaften Produkts deutlich schwieriger und erhöht daher die (Gesamt-)Kosten der Ersatzlieferung erheblich.
  • Risiko von Folgemängeln: Ist eine Reparatur nachhaltig oder besteht die Gefahr weiterer, bislang noch unentdeckter Defekte (z. B. bei einem "Montagsauto")?

⚠️ Hinweis: Gerichte betrachten solche Fälle stets individuell. Eine feste Grenze gibt es grundsätzlich nicht, aber als Faustregel gilt: Ist die von Kund*innen gewünschte Nacherfüllungsalternative 15 bis 20 % teurer als die andere, kann eine relative Unverhältnismäßigkeit vorliegen.

 Zurück zum Beispiel: Wenn die Reparatur des Designer-Sofas im Endeffekt unverhältnismäßig teurer wäre als eine Ersatzlieferung, kannst du den Kunden auf die Ersatzlieferung verweisen. Doch wenn es sich um eine Spezialanfertigung handelt, bei der eine neue Lieferung Monate dauern würde, könnte der Kunde dennoch auf die Reparatur bestehen.

In der Praxis erfordert jede Entscheidung also eine sorgfältige Einzelfallprüfung – sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus rechtlicher Sicht. Eine kluge Abwägung hilft dir, unnötige Kosten zu vermeiden und gleichzeitig die Kundenbindung nicht zu gefährden.

2. Absolute Unverhältnismäßigkeit

Eine der Nacherfüllungsalternativen kann auch „absolut unverhältnismäßig“ sein. In diesem Fall wird nicht der Vergleich der Kosten der gewählten Nacherfüllung mit der alternativen Möglichkeit vorgenommen, sondern mit dem ursprünglichen Wert des Produkts.

Gerichte entscheiden hier wiederum aufgrund einer Bewertung aller Umstände im Einzelfall. Der BGH vergleicht dabei als „ersten Anhaltspunkt“ den Wert der Sache im mangelfreien Zustand und die Bedeutung des Mangels. Er hat dabei selbst eine Faustformel aufgestellt, wenn der Mangel nicht vom Verkäufer zu vertreten ist.

Eine absolute Unverhältnismäßigkeit liege dann vor, soweit die gewählte Art der Nacherfüllung mehr als 150 % des Wertes der Ware im mangelfreien Zustand oder 200 % des Wertes der Ware im mangelhaften Zustand kostet. Verkäufer*innen können in diesem Falle auf die andere Nacherfüllungsvariante verweisen.

⚠️ Hinweis: Bis 2022 war für das B2C-Verhältnis geregelt, dass Verkäufer*innen sich nicht auf die absolute Unverhältnismäßigkeit berufen konnten, wenn sie die andere Art der Nacherfüllung aufgrund Unmöglichkeit verweigert haben. Die Gesetzesänderung vom 1. Januar 2022 gestattet nun den Verkäufer*innen auch die verbleibende Nacherfüllungsvariante wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit zu verweigern.

Digitale Produkte

Bei digitalen Produkten (B2C) sieht die Sache grundsätzlich anders aus! Hier fehlt im Gesetzestext die ausdrückliche Nennung des Wahlrechts zwischen Nachlieferung und Nachbesserung für Verbraucher*innen. § 327l Abs. 1 überlässt damit die Entscheidung den Unternehmer*innen. Diese dürfen bei digitalen Produkten selbst entscheiden, wie sie den Mangel beheben, z. B.:

  • Neuer Zugang: Unternehmer*innen können das digitale Produkt erneut bereitstellen, z. B. durch einen neuen Datenträger, eine erneute Möglichkeit zum Download oder Stream oder durch Wiederherstellung des Zugangs.
  • Verbesserte Version: Das digitale Produkt kann in einer verbesserten Version zur Verfügung gestellt werden.
  • Fehlerbehebung am bestehenden Produkt: Der Mangel kann durch Fernwartung am bereits vorhandenen digitalen Produkt beseitigt werden, wenn die Verbraucherin, bzw. der Verbraucher zustimmt oder dies aufgrund der Umstände zumutbar ist. Alternativ kann das Unternehmen einen Kundendienst zur Verbraucherin, bzw. zum Verbraucher schicken.
  • Selbsthilfe der Verbraucher*innen: Das Unternehmen kann (soweit dies ohne unangemessene Unannehmlichkeiten denkbar ist) Verbraucher*innen auch die notwendigen Hilfsmittel zur Verfügung stellen, damit diese den Mangel eigenständig beheben können.

Unser Tipp

Wirtschaftlich klug handeln, rechtlich abgesichert bleiben: Für Händler*innen ist die Gewährleistung oft ein Balanceakt zwischen Kundenservice und betriebswirtschaftlicher Vernunft. Während Käufer*innen grundsätzlich das Wahlrecht zwischen Reparatur und Ersatzlieferung haben, gibt es klare Grenzen: Unmöglichkeit, Unverhältnismäßigkeit oder spezielle Regelungen für digitale Produkte können den Handlungsspielraum der Verkäufer*innen erweitern.

Entscheidend ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung – denn eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung muss auch rechtlich tragfähig sein. Wer seine Rechte und Pflichten kennt, kann nicht nur unnötige Kosten vermeiden, sondern auch Reklamationsprozesse effizient steuern und die Kundenbindung stärken.

25.03.25
Florian Güster, MBA

Florian Güster, MBA

Seit 2021 ist er als Legal Consultant bei Trusted Shops sowie Rechtsanwalt bei FÖHLISCH mitverantwortlich für die Entwicklung und Fortentwicklung von Legal Tech-Produkten.

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