Wann können Sie nach einem Widerruf Wertersatz verlangen?

Inhaltsverzeichnis:

1. „Globales Leihhaus Internet“
2. Wertverlust der Ware
3. Was gehört zur Prüfung der Ware?
4. Sonderproblem: Verpackte Waren und Hygieneartikel
5. Öffnen oder Verlust der Originalverpackung
6. Berechnung des Wertersatzes und Beweislast
7. Unser Tipp

Das Widerrufsrecht sorgt bei Online-Händler*innen häufig für Ärger. Nicht selten wird die bestellte Ware mit Gebrauchspuren zurückgeschickt und kann nur mit erheblichen Preisabschlägen erneut verkauft werden.

Den entstehenden Wertverlust müssen Sie aber nicht immer tragen. Eine übermäßige Nutzung oder Ingebrauchnahme der Ware führt nicht zum Ausschluss des Widerrufsrechts. Allerdings besteht ein Wertersatzanspruch, sofern die bestellte Ware in einem verschlechterten Zustand zurückgegeben wird.

In welchen Fällen Ihnen ein Wertersatzanspruch zusteht und was Sie im Vorfeld beachten müssen, erklären wir in unserem Tipp der Woche.

„Globales Leihhaus Internet“

Der Umstand, dass viele Verbraucher*innen das Widerrufsrecht ausnutzen, um sich kostenlos Küchengeräte, Karnevalskostüme, Unterhaltungselektronik oder Ähnliches auszuleihen, ist für viele Online-Händler*innen ein großes Ärgernis. Als Ausgleich für das weitgefasste Widerrufsrecht sieht der Gesetzgeber eine Wertersatzpflicht in § 357a Abs. 1 BGB vor.

Danach haben Verbraucher*innen Wertersatz für einen Wertverlust der Ware zu leisten, sofern

1. der Wertverlust auf einen Umgang mit den Waren zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise der Waren nicht notwendig war,

2. und Sie den*die Verbraucher*in nach Artikel 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch über das Widerrufsrecht belehrt haben.

Tipp: Wir empfehlen, für die sichere Erstellung der Widerrufsbelehrung und des Muster-Widerrufsformulars unseren Rechtstexter zu verwenden.

Wertverlust der Ware

Ein Wertersatzanspruch steht Ihnen nur bei einem Wertverlust der Ware zu. Ein Nutzungsersatzanspruch – d.h. eine Entschädigung für die bloße Gebrauchsüberlassung – können Sie hingegen nicht verlangen. Erforderlich ist vielmehr, dass Sie die Ware nur mit Preisabschlägen bzw. gar nicht wiederverkaufen können.

Typischerweise fallen darunter Beeinträchtigungen und Beschädigungen der Substanz der Ware, die aus der Abnutzung oder einem unsachgemäßen Umgang resultieren.

Kommt die Ware jedoch beschädigt bei Ihnen an, ist Vorsicht geboten. Denn Transportschäden werden von dem Wertersatzanspruch nicht erfasst. Nach § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB tragen Sie die Gefahr der Rücksendung der Waren. Eine Entschädigung können Sie nur dann verlangen, wenn die Ware nachweislich unzureichend verpackt wurde und die Beschädigung auf die unzureichende Verpackung zurückzuführen ist.

Was gehört zur Prüfung der Ware?

Der Wertverlust der Ware berechtigt Sie allerdings nicht automatisch zum Wertersatz. Nach der Intention des Gesetzgebers ist es Ihrer Kundschaft vielmehr gestattet, die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise des gekauften Artikels zu prüfen. Ihre Kundschaft darf grundsätzlich mit der Ware so umgehen und sie in Augenschein nehmen, wie dies auch in einem Ladengeschäft möglich wäre.

Ein Wertersatzanspruch besteht daher nur hinsichtlich solcher Wertverluste, die auf einen Umgang mit der Ware zurückzuführen sind, der zur Prüfung ihrer Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise nicht notwendig war. Die folgenden Beispiele sollen Ihnen einen Überblick darüber geben, wann ein Umgang mit der Ware außerhalb des erforderlichen Prüfungsumfangs vorliegt:

Eine Anprobe ist bei Kleidungsstücken und Schuhen unerlässlich, um eine Kaufentscheidung treffen zu können. Das dauerhafte Tragen der Schuhe oder Kleidungsstücke geht allerdings über diese Prüfung hinaus und begründet eine Wertersatzpflicht.

Das Durchblättern eines Buches ist ebenso ohne Wertersatzpflicht möglich. Deutliche Gebrauchsspuren und Eselsohren lösen allerdings die Wertersatzpflicht aus.

Ein Laptop darf an das Stromnetz angeschlossen und auf seine Funktionsfähigkeit getestet werden. Die Prüfung eines Fernsehers umfasst das Anschließen und Einschalten sowie ein kurzes Probeschauen, allerdings keinesfalls das Ansehen aller Spiele einer Fußball-EM.

Bei Möbeln, die im zerlegten Zustand angeliefert werden, schließt dies das Auspacken und den Aufbau der Möbelstücke mit ein, bei einem Wasserbett - das Aufblasen und das Befüllen der Matratze mit Wasser (BGH, Urteil vom 03.11.2010 – Az.: VIII ZR 337/09).

Das Probeschlafen in ausgepackten Bettdecken und -kissen ist hingegen auch im Ladengeschäft nicht üblich und geht über die Prüfung der Eigenschaften und der Funktionsweise der Sache hinaus.

Küchengeräte (z. B. Fritteusen, Toaster, Kaffeemaschinen, Mixer) können auch im Ladengeschäft nicht getestet, sondern nur in Augenschein genommen werden. Das Benutzen dieser Artikel stellt daher grundsätzlich eine die Wertersatzpflicht auslösende Ingebrauchnahme dar. Ihre Kundschaft darf außerdem einen Rasenmäher oder einen Grill mangels Testmöglichkeit im Ladengeschäft ebenso wenig im heimischen Garten ausprobieren.

Ein Ausprobieren geht daher grundsätzlich über die Prüfung hinaus, sofern dies in einem stationären Ladengeschäft völlig unüblich ist. Daher überschreitet der Einbau eines Katalysators in einen PKW und eine anschließende Testfahrt mit dem Wagen die Grenzen einer zulässigen Prüfung der Eigenschaften und Funktionsweise (BGH, Urteil vom 12.10.2016 – VIII ZR 55/15). Das Einbauen von Computerbauteilen zu „Prüfungszwecken“ in den eigenen PC dürfte daher ebenfalls einen Wertersatzanspruch begründen.

Sonderproblem: Verpackte Waren und Hygieneartikel

Die Prüfung der Ware erweist sich bei verpackten Lebensmitteln, Medikamenten, Kosmetika und Hygieneartikeln als besonderes problematisch. Diese Waren werden bei einer Ingebrauchnahme aus gesundheitlichen oder hygienischen Gründen unverkäuflich.

Daher bestimmt § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB, dass kein Widerrufsrecht bei der Lieferung von Waren besteht, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, sofern ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Wann ein Hygieneartikel und eine Entsiegelung vorliegt, haben wir für Sie in unserem Rechtstipp der Woche: Hygieneartikel widerrufen - Geht das? zusammengefasst.

Öffnen oder Verlust der Originalverpackung

Ob Sie für eine beschädigte oder verloren gegangene Originalverpackung Wertersatz verlangen können, bemisst sich grundsätzlich nach der Funktion und Bedeutung der Verpackung für die Ware.

Sofern die Verpackung für die Ware einen wertsteigernden Faktor besitzt, stellt diese zugleich einen Bestandteil der Ware dar und wird von dem Wertersatzanspruch erfasst. Dies ist beispielsweise bei Designer-Uhren oder Parfum der Fall, dessen Vertrieb ohne Originalverpackung nach § 24 Abs. 2 MarkenG vom Hersteller verboten werden darf. Ebenso führt das Entfernen von Etiketten bei Markenartikeln zu Wertverlust und indiziert überdies eine Nutzung über die Prüfung hinaus.

Das bloße Öffnen der Verpackung der Ware ist hingegen stets zur Prüfung der Beschaffenheit erforderlich und löst keine Wertersatzpflicht aus. Sie müssen außerdem die Wertminderung durch die Zerstörung der Originalverpackung tragen, sofern nur auf diese Weise eine Prüfung der Ware möglich ist.

Berechnung des Wertersatzes und Beweislast

Sicherlich stellen Sie sich nun die entscheidende Frage, wie der Wertersatz zu berechnen ist. Das Gesetz enthält leider keine Regelung über die Berechnung der Höhe des Wertersatzes.

Dieser bemisst sich grundsätzlich nach dem Wertverlust. In Abzug zu bringen sind Ihre Aufwände, um die Ware wieder in einen verkehrsfähigen Zustand zu bringen wie Reinigungskosten sowie Abschläge beim Wiederverkaufspreis als „Retourenware“.

Sofern getragene Kleidung nach einer Reinigung noch als neu verkauft werden kann, richtet sich der Wertersatzanspruch nach den Reinigungskosten und der Differenz zwischen dem objektiven Wert der Ware zum Zeitpunkt der Übergabe und dem Wert als „Retourenware“. Die Höhe des Wertersatzes kann bis zu 100 % betragen, sofern die Ware nach der Rücksendung nicht mehr veräußert werden kann.

Im Einzelfall müssen Sie nachweisen, dass die Ware über das Testen hinaus benutzt wurde. Außerdem tragen Sie die Beweislast für die Höhe des entstandenen Wertverlustes. Neben dem Zustand der Ware (etwaige Verschmutzung) kann insbesondere die Entfernung von Preisschildern ein wichtiges Indiz für die Nutzung über das Testen hinaus sein.

Unser Tipp

Der gesetzliche Wertersatzanspruch nach erfolgtem Widerruf schützt Online-Händler*innen, sofern die Grenzen des notwendigen Prüfungsumfangs überschritten werden und die retournierte Ware Abnutzungsspuren aufweist.

Ein Anspruch auf Wertersatz besteht allerdings nur hinsichtlich solcher Wertverluste der Ware, die auf einen Umgang mit der Ware zurückzuführen sind, der zur Prüfung ihrer Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise nicht notwendig war. Außerdem müssen Sie den*die Verbraucher*in über das Widerrufsrecht belehrt haben.

Ob ein Wertersatzanspruch besteht, ist eine Frage des Einzelfalles und hängt von zahlreichen Faktoren ab.

  

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Update: Wir haben diesen Blogartikel im Oktober 2016 veröffentlicht und im Juni 2023 für Sie aktualisiert.

 

Über den Autor

 


Ralf Markard ist Legal Consultant bei der Trusted Shops AG. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und absolvierte zusätzlich ein Bachelorstudium des Wirtschaftsrechts an der Rheinischen Fachhochschule Köln mit dem Schwerpunkt Mergers & Acquisitions/Insolvenzen. Anschließend schloss er ein Masterstudium (Master of Laws) an der FernUniversität in Hagen ab. Seit 2019 ist er bei der Trusted Shops GmbH im Bereich Legal Services tätig. Er setzt sich intensiv mit dem Wettbewerbs- und E-Commerce-Recht auseinander und betreut die Trusted Shops Legal Produkte.

 

29.06.23

Ralf Markard

Ralf Markard ist als Legal Consultant bei Trusted Shops tätig und betreut die Trusted Shops Legal Produkte.

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